Citybahn und Historismus
Die Wiesbadener Innenstadt ist noch heute erkennbar geprägt vom Bauboom des
19. Jahrhunderts. Aus wahrhaft kleinen Anfängen eines nassauischen
Provinzstädtchens mit im Jahr 1800 etwa 2.500 Einwohnern hat sich unsere Stadt
bis 1910 zur Großstadt und zum Touristenmekka „Weltkurstadt Wiesbaden “ mit
etwa 110.000 Einwohnern und rd. 210.000 Übernachtungsgästen entwickelt. Der
Schwerpunkt dieses Wachstums lag zwar in der Zeit preußischer Herrschaft ab
1866. Weil aber unsere Stadt im Zweiten Weltkrieg weniger als andere Städte
zerstört worden ist und auch den umfassenden Selbstabrissprogrammen der
städtebaulichen Modernisierungswut der sechziger und siebziger Jahre gerade
noch rechtzeitig entkommen konnte, spiegelt sich in Wiesbadens Stadtbild bis
heute das Bauen des gesamten 19. Jahrhunderts, mit allen Stilphasen des
Historismus, vom Klassizismus bis zum Jugendstil, eindrucksvoll wieder
Diese „Stadt des Historismus“ zu erhalten, ist heute kommunalpolitisch unbestritten.
Bedroht war und ist sie vor allem durch den Automassenverkehr, der die Stadt des
19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert überflutet hat und der auch im 21. Jahrhundert
mit dem weiteren Aufschwung der Rhein-Main-Region noch zunehmen wird. Eine
vernünftige Kommunalpolitik, die das Mobilitätsbedürfnis der Menschen mit der
Idee der Stadterhaltung in Einklang bringen will, muss die Entlastung der
Innenstadt vom Automassenverkehr anstreben. Das ist ohne ein gut
funktionierendes System des Öffentlichen Nahverkehrs nicht zu leisten. Umso
bedauerlicher ist es, dass in einer Zeit, in der die Sehnsucht nach der
„autogerechten Stadt“ die Stadtplanung dominierte, das seit der zweiten Hälfte des
19. Jahrhundert entwickelte Wiesbadener Straßenbahnnetz beseitigt wurde.
Die ersten Straßenbahnen rollten in den Glanzzeiten der Hohenzollernkaiser
durch Wiesbaden als die Baustile des Strengen Historismus und des
Späthistorismus ihre Hochblüte hatten. Nach Verlegung der Gleise nahm 1875 die
erste, noch von Pferden gezogene Straßenbahnlinie, vom Faulbrunnenplatz über
die Schwalbacher, Rhein-, Wilhelm- und Taunusstraße zur Röderstraße und
zurück, ihren Betrieb auf. 1889 eröffnete eine Dampfstraßenbahnlinie die Strecke
Biebrich – Nerotal, und eine neue Pferdebahnlinie verband die Bahnhöfe in der
Rheinstraße über den Mauritius- und den Kranzplatz mit der Röderstraße. 1896
ging die erste elektrische Straßenbahnlinie zwischen dem Depot in der unteren
Luisenstraße und der Walkmühle in Betrieb, und mit der anschließenden
Elektrifizierung insgesamt wurde das Straßenbahnnetz in rascher Folge auch zu
den Städten und Gemeinden des Umlandes weiträumig ausgebaut. Der öffentliche
Personenverkehr wurde in Wiesbaden seit der Blütezeit des Historismus im 19.
Jahrhundert bis in die Zeit nch dem Zweiten Weltkrieg zu einem wesentlichen Teil
mit gleisgebundenen Straßenbahnen organisiert.
Die Entscheidung, den Betrieb der Straßenbahn in Wiesbaden insgesamt
einzustellen und stattdessen den öffentlichen Personennahverkehr überall in der
Stadt auf Omnibusse umzustellen, fiel endgültig im Oktober 1954. Fünf Millionen
Mark hätte die Stadt in den folgenden fünf Jahren sonst aufbringen müssen, um
die Gleisanlagen zu ertüchtigen und den Wagenpark zu modernisieren. Das war
den Stadtmüttern und Stadtvätern zuviel für ein aus ihrer Sicht gestriges
Verkehrssystem. „Wiesbaden, die modernste Großstadt – Blausilberne
Autobusse, keine rappelnde Straßenbahn mehr!“ hatte das „Wiesbadener
Tagblatt“ schon Jahre zuvor die vorherrschende Stimmung zusammengefasst, wie
der „Wiesbadener Kurier“ vor wenigen Tagen in Erinnerung gerufen hat. In der
Nachkriegszeit, in der viele Städte den notwendigen Wiederaufbau zum
Stadtumbau zur „autogerechten Stadt“ nutzten, galten die Busse als das
Nonplusultra der öffentlichen Personenbeförderung dort, wo sich der ganz große
Schritt zur U-Bahn nicht lohnte. Aber auch den wollten die Wiesbadener sich
vorbehalten. Bekanntlich wurde die Villa Clementine in der Wilhelmstraße von der
Stadt auf Abbruch gekauft, um dort später einen U-Bahnhof zu bauen. Dazu kam
es nicht. Aber eine „Elektrische“ fuhr das letzte Mal am 30. April 1955 durch die
Stadt, von der Rheinstraße nach Biebrich.
Heute wissen wir, dass es der Automassenverkehr ist, der die historische Stadt
und die Gesundheit ihrer Bevölkerung gefährdet. Das künftige Verkehrswachstum
lässt sich durch eine Ausweitung des Busbetriebes nicht mehr staufrei abwickeln.
Um die Innenstadt wenigstens vom automobilen Durchgangsverkehr zu entlasten
und damit auch die Luftschadstoffbelastung für die Menschen zu mindern, ist die
Wiedereinführung der Straßenbahn die richtige, die auch der Stadtgeschichte
angemessene Konzeption. So wie die Citybahn jetzt konkret geplant ist und später
weitere Linien erhalten wird, wird sich das historistische Stadtbild nicht anders
darstellen, als es der Fall wäre, wenn das ursprüngliche Wiesbadener
Straßenbahnnetz erhalten geblieben wäre. Insbesondere bleiben die historischen
Alleen erhalten.
Die geplante neue Citybahn
verbessert den Verkehrsfluss durch Wiesbaden,
entlastet die Innenstadt vom Automassenverkehr,
verbindet uns besser mit unseren Nachbarstädten und –gemeinden,
schont das historistische Stadtbild und die traditionellen Alleen,
ist das umweltverträglichste öffentliche Verkehrsmittel für den
wachsenden Verkehr in einem auch in Zukunft lebenswerten,
menschlichen Wiesbaden in der prosperierenden Rhein-Main-Region.